In einer Branche, in der die Bereitschaft zur Digitalisierung bei Behandlern, Patienten und Unternehmen nur allzu langsam voranschreitet, kommt der Politik eine wichtige Rolle zu. Mit einem Positionspapier hat sich das Telemedizin-Unternehmen DrEd.com nun kurz vor der Bundestagswahl zu Wort gemeldet. Im Dossier „Digitalisierung des Gesundheitssektors“ plädiert ein Healthcare-Unternehmen für eine digitale Innovationskultur und zeigt nebenbei auf, welche Klippen es zu umschiffen gilt.

Dass die Digitalisierung völlig neue Chancen auch oder gerade im Bereich der Medizin bietet, ist inzwischen bekannt, auf der offiziellen Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden digitale Ansätze als Hoffnungsträger gepriesen:

„Die Digitalisierung hat die Medizin erreicht. Sie könnte das heutige Gesundheitssystem grundlegend verändern, so dass jede Patientin und jeder Patient von besseren Diagnosen und individuelleren Behandlungen profitiert.“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung)

Solche digitalen Lösungen erlauben vor allem eines: auf einen Klick riesige Datenmengen zu erfassen, zu vernetzen und auszuwerten. Gerade im Gesundheitswesen ist das essentiell: Krankengeschichten müssen zusammengetragen, Medikationen im Blick gehalten und Untersuchungsergebnisse dokumentiert werden. Doch obwohl der Karteikasten als Praxisverwaltungssystem inzwischen weitgehend aus deutschen Praxen verschwunden ist und Patienten hierzulande auf eine immer größere Menge an Gesundheits-Apps zugreifen können, hinkt der Gesundheitssektor im Bereich der Digitalisierung noch hinterher. Die BostonConsultingGroup, eine der weltweit größten Unternehmensberatungen mit Schwerpunkt auf das Gesundheitswesen, attestierte der Medizinbranche unlängst eine deutlich spürbare „Innovationsmüdigkeit“, wie das Portal Health Relations berichtet.

Grund dafür sind unter anderem strenge Datenschutzbestimmungen, die gerade bei den sensiblen Gesundheitsdaten ihre Berechtigung haben, aber oftmals enorme gesetzliche Hürden darstellen, der Zugang zum Gesundheitsmarkt mit seinen den gesetzlich regulierten Krankenkassen ist gerade für die innovationsstarken Branchenneulinge erschwert. Außerdem fehlen finanzielle Anreize wie staatlich initiierte Investitionsfonds und Förderprogramme für die Start Up-Szene.

Immerhin: Die Politik scheint sich des Problems bewusst zu werden. Anfang des Jahres hatte das Bundesgesundheitsministerium gegenüber der ÄrzteZeitung versprochen, an seinem Zeitplan festhalten zu wollen: Bis Mitte 2018, so eine Sprecherin im Januar gegenüber dem Online-Magazin, soll die Digitalisierung in allen Praxen angekommen sein. Auch im Wahlkampf ist das Thema Digitalisierung angekommen. Alle großen Parteien haben das Schlagwort in ihr Programm aufgenommen: Die CDU/CSU beispielsweise will sich mit ihrer „digitalen Agenda“ dafür einsetzen, dass „die Digitalisierung als Handlungsfeld auf parlamentarischer Ebene verankert [wird]“, die SPD plant die „Zukunft in der digitalen Gesellschaft“ und äußert die Hoffnung, dass mit dem „technischen Fortschritt der Digitalisierung auch ein[…] gesellschaftliche[r] Fortschritt“ einhergehen werde, auch bei den Grünen und der FDP gibt es Initiativen: „Damit die Menschen die Chancen der Digitalisierung nutzen können“, so lässt sich auf der Homepage der FDP lesen, „muss die Politik gezielt Zukunftsimpulse setzen.“ Wie genau solche Digitalisierungsimpulse im Bereich des Gesundheitswesens aussehen könnten, ist in den Wahlprogrammen jedoch nicht aufgeführt.

Die Online-Arztpraxis DrEd.com, 2010 von David Meinertz und Amit Khutti gegründet, mischt sich mit ihrem Positionspapier in die Diskussion um einen digitalisierten Gesundheitssektor ein. Kurz vor der Bundestagswahl erscheint das dreiseitige Dokument nun wie ein Appell an die künftige Regierung, der Digitalisierung auch im Gesundheitswesen den Boden zu bereiten. Das Telemedizin-Unternehmen, das seinen Sitz in London hat und von der englischen Care Quality Commission kontrolliert wird, behandelte seit 2011 Patienten aus Deutschland, Österreich, Irland und England in mehr als 1 Million Online-Sprechstunden: Via Internet oder am Telefon beraten die Ärzte der Online-Praxis Patienten, stellen Diagnosen, behandeln und verschreiben mitunter sogar Rezepte. Ihrem Positionspapier hat DrEd.com unter dem Stichwort „Täglich gelebte Telemedizin“ einen Telemedizin-Atlas angehängt, der eindrucksvoll bezeugt, dass der Wunsch nach telemedizinischen Ansätzen deutschlandweit besteht.  In allen Bundesländern wurden und werden die Dienste der Online-Praxis genutzt, mehr als 200.000 Patienten, so das Papier, seien bereits beraten worden.

Die acht Positionen, die formuliert werden, spiegeln die Bedürfnisse von Patienten und E-Health-Unternehmen gleichermaßen wider. Dass sich die Spielregeln im medizinischen Alltag geändert haben und das ärztliche Selbstbild vom Halbgott in Weiß vorbei sind, hält die Präambel fest: Patienten seien heutzutage besser informiert und wollen aktiv an ihrer Gesundheit mitwirken, sie wünschen sich einen Austausch mit dem Arzt auf Augenhöhe und betrachten sich als mündige Gesprächspartner. Das zieht sich durch das ganze Dokument: Ärzte und Patienten, so das Positionspapier, sollten frei, aber verantwortungsvoll über den Einsatz telemedizinischer Mittel entscheiden. Als Konsequenz daraus fordert das Positionspapier, erprobte und geprüfte telemedizinische Modelle zügig in den Erstattungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen. Auch die Unternehmen werden in die Pflicht genommen: Entsprechend der EU-weiten Datenschütz-Grundordnung sollen sensible Patientendaten geschützt werden.

Die zentrale Botschaft an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, der „Ruf nach einer neuen digitalen Innovationskultur“, wartet allerdings am Ende:

„Wir wünschen uns eine Innovationskultur, die sich an den sich wandelnden Bedürfnissen der Patienten orientiert und die Patientenversorgung, sofern sinnvoll, durch digitale Dienste ergänzt. Erprobte und geprüfte Modelle und Methoden von telemedizinischen Anbietern sollten mit weniger Hemmnissen in den Erstattungskatalog der Krankenversicherer aufgenommen werden. Eine schnellere Integration von innovativen Instrumenten oder Wegen fördert Entwicklung und Fortschritt.“

Was sich nach der Bundestagswahl im Gesundheitssektor verändern und inwieweit der Forderung nach einer zügigen Digitalisierung Gehör finden wird, bleibt abzuwarten.