Participatory medicine, patients‘ compliance, patients‘ adherence, patients‘ self-management, patient empowerment – die Liste dessen, was in medizinischen Fachjournalen und Lehrbüchern als das Ideal in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient empfohlen wird, ist lang und mitunter verwirrend. All diesen Ansätzen ist gemein, den Patienten aus seiner Passivität zu befreien, ihm in Gesundheitsfragen eine autonome Rolle zuzuweisen und ihn gleichsam zu einem Partner zu machen. Obwohl im GKV-Modernisierungsgesetz von 2003 (Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung) der Versuch einer Reform des deutschen Gesundheitswesens unternommen und die rechtlichen Grundlagen für ein Gesundheitssystem gelegt wurde, in dem der „Patient als Partner“ betrachtet wird, scheint erst die voranschreitende Digitalisierung auch des Gesundheitswesens den lange geforderten participatory turn in der Medizin erst so richtig in Gang zu bringen. Auf dem Heidelberger E-Health-Tag 2017 geht es darum heute um eines: patient engagement und die Chancen (aber auch Risiken), die digitale Lösungen für eine moderne Medizin bereithalten. Mittendrin ist Lucas Spohn, der als Gründer der Tomes GmbH der Frage nachgeht, wie E-Health-Lösungen den medizinischen Alltag vereinfachen können.

 

Die Welt hat sich gewandelt: Immer schneller entwickeln sich Technologien weiter, tauchen neue Produkte auf dem Markt auf und immer größer sind die Unterschiede zwischen den Standards von gestern und heute. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die diesen technologischen Fortschritt begleiten, sind nicht immer auf den ersten Blick absehbar, machen jedoch einiges an Umdenken erforderlich.

Das gilt besonders für die Medizin, denn: In der modernen Informationsgesellschaft hat sich der Abstand zwischen Ärzten und Patienten verkleinert. Um sich zu informieren, können Symptome gegoogelt, Ursachen und Krankheitsverläufe in Sekundenschnelle auf wikipedia nachgelesen, Spezialisten mit einem Klick ausfindig gemacht werden. Damit verändern sich auch die Bedingungen, unter denen Ärzte und Patienten kommunizieren. Fachsprachliche Diagnosen können im Internet nachgelesen werden, Patienten mit ähnlichen Krankheitsbildern in Gesundheitsforen befragt werden. Das paternalistische Modell und die Vorstellung vom Arzt als ‚Halbgott in Weiß‘ hat ausgedient, eine asymmetrische Kommunikation, die im uneinholbaren Wissensvorsprung des Arztes gründete, ist nicht mehr zeitgemäß.

Damit haben sich die Anforderungen, die Patienten an ihren Arzt stellen, gewandelt. Am wichtigsten ist den Patienten natürlich nach wie vor die fachliche Kompetenz ihres behandelnden Arztes, wie Prof. Dr. Lothar Schäffner gegenüber der Zeitschrift ‚Der Allgemeinarzt‘ erläutert. Auf dem zweiten Platz landet jedoch gleich der Wunsch nach einer respektvollen, partnerschaftlichen Beziehung zwischen Arzt und Patient, in der der Arzt vor allem ein Begleiter in Gesundheitsdingen ist.

Das korreliert mit einer anderen Entwicklung, die sich als Herausforderung für die moderne Medizin erweist. In westlichen Gesellschaften steigt zusammen mit der Lebenserwartung auch die Zahl chronischer Erkrankungen immer weiter an, die Patienten und ihren Ärzten verstärkt Management-Fähigkeiten abverlangen. Gründliche Aufklärung über Ursachen und Zusammenhänge bildet die Grundvoraussetzung bei der erfolgreichen Therapie chronischer Krankheiten; beim Monitoring von Symptomen und Begleiterscheinungen, seien sie physischer oder psychosozialer Natur, ist die Zusammenarbeit von Arzt und Patient gefragt.

Die steigenden Anforderungen an das Gesundheitssystem ist letztlich auch eine Kostenfrage: Bei begrenzten Ressourcen – und in der Medizin ist Zeit die Ressource Nr. 1 – ist ein effizientes System notwendig, das die vorhandenen Mittel voll ausschöpft: „doing more with less“ (Graffigna/Barello/ Triberti 2015) heißt die Maxime, die auch den participatory turn bestimmt. Denn was leicht als allzu ökonomistische Position missverstanden werden könnte, erzielt – wie das Beispiel der Anamnese zeigt – trotz ihres vergleichsweise geringen Aufwands den besten Erfolg: Indem Patienten zu gemeinschaftlichen Mitarbeitern an der eigenen Gesundheit, zu „coproducers of their health“, wie Graffigna et al. es formulieren, aufgewertet werden, kann ihren gewandelten Ansprüchen Rechnung getragen und die allgemeine Zufriedenheit mit dem Gesundheitswesen verbessert werden, es können Therapieergebnisse gesichert und – ganz nebenbei – Kosten reduziert werden.

Was E-Health dabei leisten kann, zeichnet sich zwar schon ab, das volle Potenzial ist jedoch noch längst nicht ausgeschöpft. Der Trend zu Wearables beispielsweise, mit denen Gesundheitsdaten wie Herzfrequenz und Bewegungsdaten gesammelt und mit Hilfe zugehöriger Apps ausgewertet werden, schwappt langsam aus dem Sportbereich in den medizinischen Alltag hinüber. Eine Studie von Salesforce hat herausgefunden, dass ein Großteil der User es begrüßen würde, wenn sie die erhobenen Daten mit ihrem Arzt teilen könnte. Dem Patienten wird auf diese Weise ein Instrument in die Hand gegeben, die eigene Gesundheit aktiv zu überwachen und eigene Verhaltensmuster mit der Unterstützung von Apps & Co nachhaltiger zu ändern. Telemedizinische Ansätze über Chat, Telefon oder per App, die die Arzt-Patienten-Kommunikation in den virtuellen Raum verlegen, sind ebenfalls gefragt, in Deutschland aber noch vergleichsweise wenig verbreitet. Indem sie es erlauben, Arztbesuch und die Auseinandersetzung mit der eigenen Gesundheit einfacher in den Alltag zu integrieren, verringern auch telemedizinische Lösungen die Asymmetrie im Verhältnis zwischen Arzt und Patient und erfüllen die Ansprüche des patient engagement.

Von dem Bewusstsein, dass ein Umdenken hin zu einer partizipativen Medizin stattfinden muss – und von einer sich rasant entwickelnden E-Health-Branche schon mitgetragen und vorbereit wird -, zeugt der Heidelberger E-Health-Tag, der nun in die dritte Runde geht. Veranstaltet von der Digitalagentur TWT Healthcare bietet der E-Health-Tag ein Forum, der nicht nur Branchentreff für Vertreter aus IT, Pharma und Medizintechnik sein, sondern auch Anwender und Forscher zusammenbringen möchte. In einer Reihe von Vorträgen und Diskussionen soll es darum gehen, wie der Patient mit Hilfe von digitalen Ansätzen miteinbezogen und im Sinne des patient engagement zu einem aktiven Partner in Gesundheitsfragen befördert werden kann.